Pressemitteilung vom 07.12.2020 Hamburg.

    Die Politik kommt nicht einmal ihren gesetzlich verankerten Pflichten gegenüber den Krankenhäusern und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst nach. Warum sollte sie also den vertragsärztlichen Bereich unterstützen? Praxisinhaber gelten als Unternehmer – und nur mit betriebswirtschaftlichem Denken können sie überleben, so das Fazit, das der Vorsitzende des Berufsverbandes Niedergelassener Chirurgen (BNC), Dr. Christoph Schüürmann, in seinem Leitartikel in der aktuellen Ausgabe der Verbandszeitschrift ‚Chirurgen Magazin + BAO Depesche’ in puncto All-Inclusive-Mentalität. Das vollständige Heft kann man hier herunterladen und lesen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    „Lieblingsmix“, so heißt bei uns in Hessen eine Musiksendung im Radio, die ich mir ab und zu auch gerne anhöre. Der Themenmix, den ich heute ansprechen möchte, macht deutlich weniger Freude, aber das kennen Sie ja von mir.

    Es ist leider nichts Neues, dass es bei der Verteilung von Geld für notwendige Investitionen und Ausgaben im Gesundheitswesen nur selten gerecht zugeht, dass wir niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte hier häufig leer ausgehen und bei uns alles schon eingepreist ist. Doch auch bei den Begrifflichkeiten gerät oft einiges durcheinander, aktuell etwa beim Thema monistische vs. duale Finanzierung. Hintergrund sind (inhaltlich gerechtfertigte) Forderungen verschiedener Berufsgruppen in der Niederlassung, die von Gesundheitsexperten und sogar von Kammervertretern geteilt werden. Nicht nur – aber auch – im Zusammenhang mit Corona, sondern auch grundsätzlich als Antwort auf das Krankenhauszukunftsgesetz geht es dabei um eine verstärkte Förderung der ambulanten niedergelassenen Medizin.

    Spielballvarianten im Graubereich

    Nun wissen wir alle, dass die Länder als Verantwortliche seit Jahren ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur ausreichenden Mitfinanzierung der Krankenhäuser, etwa in puncto Investitionen, schlichtweg nicht nachkommen. Dieses in meinen Augen nahezu kriminelle Verhalten führt dazu, dass auch redliche Krankenhausleitungen gezwungen sind, diese anfallenden Investitionen aus den Fallvergütungen zu generieren, die dafür überhaupt nicht vorgesehen sind.

    Die Spielballvarianten, die daraus naturgemäß folgen und sich mindestens im Graubereich bewegen, kennen wir alle – und die sind wiederum Lohn und Brot für Medizinische Dienste sowie Staatsanwaltschaften, je nach dem. Ich will die Krankenhausleitungen, insbesondere deren Verwaltungen, nicht pauschal in Schutz nehmen, aber diese seit Jahrzehnten bestehenden Gesetzesübertretungen der Länder, bei denen der Bund bislang untätig zuschaut und sich auf diese Weise mitschuldig macht, sind streng genommen die eigentliche Ursache für den gesamten Abrechnungsschlamassel in den Krankenhäusern – von kriminellen schwarzen Schafen mal abgesehen. Dass es die in allen Branchen, sogar in Staatsanwaltschaften gibt, dürfen wir in Hessen übrigens gerade sehr unrühmlich erleben.

    Aber weiter im Text: Es geht auch um die massiv gestiegenen und weiter wachsenden IT-Kosten, wobei die finanziellen Auswirkungen der geplanten IT-Sicherheitsrichtlinie noch nicht einmal eingepreist sind, die als Einzelposten alles andere im Erlebensfall ‚überstrahlen’ wird, und zwar Jahr für Jahr. Die Krankenhäuser bekommen Zusatzzahlungen für gestiegene IT-Kosten, wir Niedergelassenen bislang nicht. Dasselbe Muster findet man bei den gestiegenen Hygienekosten infolge der Neuauflagen von Hygieneverordnungen der Länder: Zusatzzahlungen an die Krankenhäuser, bei uns Niedergelassenen stellen sich die Kostenträger allerdings weiter taub. Wer hierzu noch Fragen hat, kann sich getrost einmal die letzte Analyse des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi) zu Gemüte führen, das die erheblichen Zusatzkosten durch Corona, Terminmanagement und IT analysiert hat.

    Mehraufwand in Arztpraxen gilt quasi als Hobby

    Der verwaltungstechnische Mehraufwand, den wir in unseren Praxen zur Einrichtung der gesamten TSVG-Varianten betreiben müssen, wird von den Krankenkassen ganz offensichtlich auch als unser Hobby (wir sind ja Ärzte) angesehen. Die Kassen selbst entnehmen währenddessen ihren eigenen Mehraufwand wie selbstverständlich in voller Höhe aus den Mitgliedsbeiträgen ihrer Versicherten.

    Zu Beginn der Pandemie und auch jetzt noch verzeichnen wir deutlich mehr akute Absagen von vorher fest gebuchten Arztterminen durch Patientinnen und Patienten. Damit sind stets finanzielle Verluste für die Ärzteschaft verbunden, die seitens der Kostenträger allerdings überhaupt nicht berücksichtigt und nur kaum thematisiert werden. Das scheinen eher Schicksalsschläge wie Sturm, Feuer oder Platzregen zu sein.

    Aufregung über Probleme, die eigentlich keine sind

    Und genau in Zeiten wie diesen gibt es eine Kammer, deren Vorsitzender sich dadurch hervortut, den Begriff ‚Assistenzarzt‘ abschaffen zu wollen. Die Bezeichnung soll durch den Begriff ‚Arzt bzw. Ärztin in Weiterbildung‘ ersetzt werden, um die volle Anerkennung dieser Arztgruppe deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Es ist mir unbegreiflich, mit welchen Petitessen sich manche beschäftigen – gerade angesichts der aktuellen wirklichen Herausforderungen, die wir alle kennen.

    Hinzu kommt, dass die Begriffe ‚selbstständig‘ und ‚Assistenz‘ in meinen Augen ohnehin nicht korrekt verwendet werden. Auch der Assistenzarzt arbeitet als Arzt freiberuflich, wenngleich nicht selbstständig, da seine Vorgesetzten Oberärzte und Chefärzte ihm gegenüber weisungsbefugt sind (unabhängig davon, ob sie ihrer Aufgabe korrekt nachkommen oder nicht). Kommen sie ihrer Aufgabe nicht nach, muss der Assistenzarzt unfreiwillig selbstständig arbeiten, das wäre dann der eigentliche Vorwurf! Also, mir hat in meiner Weiterbildungszeit vieles nicht gefallen, aber ich persönlich war zumindest über weite Strecken meiner Assistenzarztzeit mehrmals froh, dass Vorgesetzte als fertige Fachärzte meine damaligen Fehler noch gerade rechtzeitig korrigiert haben.

    Nun, es fehlen noch einige weitere wichtige Details! So ist die Ärzteschaft derzeit verärgert über den Vorstoß, dass Apotheker in Zukunft nicht nur werden impfen dürfen, sondern dafür auch deutlich (ein Drittel) mehr Geld bekommen sollen als Ärztinnen und Ärzte für die entsprechende Impfleistung bisher. So ärgerlich diese Diskussionen auch sind, handelt es sich dennoch eigentlich um Nebenschauplätze.

    Viel wichtiger angesichts der jüngsten Entwicklung auf dem politischen Parkett und den Umfragewerten der einzelnen Parteien ist ein aktuelles Positionspapier der Grünen von vier Autorinnen aus der AG Gesundheit und Pflege. Darunter findet sich mit Kirsten Kappert-Gonther (vorher niedergelassene Psychotherapeutin) auch eine ärztliche Kollegin. In ihrem Positionspapier fordern die Grünen unter anderem ganz unverhohlen mehr verbindliche Kompetenzen der Länder auch für die Organisation der sektorenübergreifenden Versorgungsplanung, da bislang die bestehende Krankenhausplanung ohne Bezug zu den ambulanten Angeboten bestünde.

    Staatsmedizin in Reinkultur

    Dafür werden gesetzliche Regelungen angemahnt. Für die Umsetzung sollen Landesgremien (§90a SGB V) zuständig sein, in denen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nur noch eine unbedeutende Minderheit darstellen (!). Gleichzeitig sollen diese Gremien zukünftig gemeinsame Grundsätze für die Versorgungs- und Krankenhausplanung definieren, auf deren Basis die Versorgung in Ländern und Regionen geplant werden soll. Ich kann nur sagen: Staatsmedizin in Reinkultur, KVen ade, Gratulation, Frau Kappert-Gonther!

    Die 93. Gesundheitsministerkonferenz (Amtschefkonferenz, ACK) hat sich am 2. September 2020 im Rahmen der Pandemiebekämpfung unter anderem auch zum ambulanten Bereich geäußert. Darin ergeht man sich in der Fantasie, dass die Länder gemeinsam Kriterien hinsichtlich der Ausstattung und der Ausbildung des Personals von Covid-19-Schwerpunktpraxen erstellen werden. Außerdem wird eine Zertifizierung einzelner Praxen als infektiologische Zentren gefordert. Weiterhin sollen verbindliche Verfahren zur Praxisorganisation geschaffen werden, die helfen, eine epidemische Situation künftig besser (!) zu bewältigen. Dazu gehören aus Sicht der Länder klare Anweisungen, wie im Falle einer epidemischen Lage durch Änderung der Organisation die Ansteckungsgefahr in einer Praxis reduziert werden kann. Sodann, nur damit die gesamte ‚Qualität’ des Ergebnisses der ACK deutlich wird, werden noch Drohnenversand von Medikamenten empfohlen sowie die Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung geplant.

    Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht

    Wenn das ganze Thema nicht so ernst wäre, könnte man laut lachen oder verzweifeln, welch geballte Kompetenz dort versammelt zu sein scheint. Fassen wir einmal zusammen: Diejenigen, die zu Beginn der Pandemie und aus unserer Sicht immer noch komplett versagt haben, genau diese Politikerinnen und Politiker wollen uns jetzt ‚beraten’. Dabei waren sie es, die nicht nur uns Niedergelassene – aber uns an erster Stelle, denn immerhin wurden sechs von sieben Covid-19-Patienten im ambulanten Bereich versorgt – ohne ausreichende Schutzkleidung auf alle Patienten (die daran unschuldig sind) losgelassen haben. Das ist meines Erachtens nicht nur scheinheilig und zynisch, hier wird außerdem der Bock zum Gärtner gemacht.

    An der verbreiteten Kritik zum Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) beteilige ich mich nicht. Wie überall gibt es auch dort fähige und unfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber bei der bisherigen massiven Unterbesetzung und dem Umfang der Aufgaben vor der Pandemie war das allein schon theoretisch nicht zu schultern. Nur wenn man das herausragende Lob der Kanzlerin über den ÖGD aus dieser Perspektive betrachtet, kann man es ertragen. Nicht zu ertragen ist hingegen, dass sie im selben Zuge die eigentlichen Macher in der Pandemie, nämlich die niedergelassenen Ärzteinnen und Ärzte, mit keinem Wort erwähnt hat. Ich habe das an anderer Stelle ‚pfui Mutti’ genannt.

    Warum erzähle ich Ihnen das alles? Nun, Politik und Kostenträger erlauben sich den fehlenden Respekt und die mangelnde finanzielle Würdigung, die ich in den Beispielen der vorangegangenen Zeilen geschildert habe, schlicht deshalb, weil sie es können. Anders als im Falle des ÖGD und der Krankenhäuser sind sie nicht gesetzlich verpflichtet, uns Niedergelassene in gleicher Weise zu unterstützen. Und wenn sie bei den Krankenhäusern und dem ÖGD ihrer gesetzlichen Verpflichtung schon ungenügend nachkommen, ohne dafür vor Gericht zu landen, dann können wir erst recht nicht auf Unterstützung hoffen. In unserem Fall heißt es ganz einfach: Das ist unternehmerisches Risiko, stellen Sie sich darauf ein, es wird keine Hilfe von außen kommen.

    Von der Herkunft als Heiler Abstand nehmen

    In einer vertragsärztlichen Praxis von heute allerdings kommt man leider nur noch mit unternehmerischem Denken wirklich weiter. Das liegt an der grundsätzlichen Struktur unserer Vergütungsregelwerke. So ist in der Vergütungssystematik der Krankenhäuser, dem DRG-System, neben besseren Kostenerstattungen ein bescheidener Gewinn mit einkalkuliert. Im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) gibt es den Arztlohn für die spezifische ärztliche Tätigkeit nach Zeitkalkulation sowie den technischen Leistungsanteil (auch auf Zeitbasis), eine mögliche Gewinnposition sucht man hingegen vergeblich. Zum Teil wird behauptet, er sei im Arztlohn enthalten. Auch das unternehmerische Risiko, das der Praxisinhaber trägt, ist nicht im kalkulatorischen Arztlohn enthalten, sondern ganz offensichtlich Privatvergnügen. Hier sind in der Vergangenheit grobe Fehler gemacht worden, an denen die Kostenträger bis heute freudestrahlend festhalten.

    Will man heute als Praxisinhaber zurechtkommen bzw. überleben, muss man deutlich mehr über das ‚System‘ wissen. Man muss von seiner Herkunft als Heiler mehr Abstand nehmen, sich den ökonomischen Regeln anpassen, sich in seinem Bundesland, in seiner Region ernsthaft auf seine unverzichtbare Rolle als ehemals ungelernter Kaufmann besinnen und alle betriebswirtschaftlichen und betrieblichen Varianten ergebnisoffen bedenken. Die eigentliche Rolle als Arzt und Heiler, für die wir ausgebildet und vorgesehen sind, haben uns der Staat und seine Erfüllungsgehilfen, die Krankenkassen, längst geraubt.

    Mit den besten kollegialen Grüßen

    Ihr Christoph Schüürmann, 1. Vorsitzender BNC

    Über den BNC

    Der BNC ist der Berufsverband der freiberuflichen Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland, deren Interessen er durch einen Bundesvorstand sowie 22 regionale Landesverbände (ANC) vertritt. Er engagiert sich für die Aus- und Weiterbildung seiner Mitglieder und setzt sich für eine Förderung der ambulanten chirurgischen Behandlung sowie des interdisziplinären Austauschs ein. Der Verband führt hierzu auf Bundesebene den Dialog mit Politik, Krankenkassen, Wirtschaft und anderen Berufsverbänden.

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    Caroline Backes presse@bncev.de

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