Pressemitteilung vom 10.03.2020 Hamburg.

    Im Bundesgesundheitsministerium herrscht aktuell offenbar das Motto „Masse statt Klasse“. Denn Neuerungen wie die Telematikinfrastruktur und Gesetze wie das TSVG sind ebenso unausgegoren wie ungerecht. Für die handwerklichen Fehler soll – wen wundert‘s – mal wieder die Ärzteschaft haften und bezahlen. Der Vorsitzende des Berufsverbandes Niedergelassener Chirurgen (BNC), Dr. Christoph Schüürmann, geht in seinem Leitartikel in der aktuellen Ausgabe der Verbandszeitschrift ‚Chirurgen Magazin + BAO Depesche’ auf verschiedene aktuelle gesetzliche Neuerungen ein – insbesondere auf die immer wieder neuen Datenschutzbedenken im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur. Das vollständige Heft kann man hier herunterladen und lesen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    es ist kein Spahn’sches Gesetz, über das wir reden müssen, es ist vielmehr eine Gesetzesmaschinerie, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) inzwischen produziert. Im Schnitt kommt jeden Monat ein neues Gesetz heraus, viele zusätzlich überfrachtet mit diversen Omnibusinhalten, die noch mehr zur Verwirrung beitragen. Man kann sicher niemandem im BMG Faulheit unterstellen, doch der gesunde Menschenverstand muss einem doch sagen, dass ein solches Über-Tempo die unverzichtbare und vorausgesetzte Sorgfalt im Gesetzgebungsprozess sicher nicht fördert, in meinen Augen sogar ausgebremst.

    Das bekannteste Beispiel aktuell ist die Zwangsanbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) bzw. der gesetzliche Auftrag zur Digitalisierung, verbunden mit der Verfügung, bei Nichtbefolgen das vertragsärztliche Honorar zu kürzen. Nach einem sind es nunmehr 2,5 Prozent, um die Ärztinnen und Ärzten das Honorar gekürzt wird, wenn sie ihre Praxen nicht an die TI anschließen.

    Bestraft wird, wer Patientendaten schützt

    Dies gilt völlig unabhängig von den Gründen für den verweigerten TI-Anschluss. Wir werden also auch dann bestraft, wenn wir die bislang verfügbare Technik für unausgegoren halten und deshalb nicht mit den uns anvertrauten Patientendaten digital „herumspielen“ und sie vor Missbrauch schützen wollen. Dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) diese fragwürdigen Honorarkürzungen umsetzen müssen, finde ich skandalös!

    Dabei versuchen allenthalben Computerexperten dem Ministerium um Herrn Spahn klarzumachen, dass die Sicherheit sensibler Patientendaten in der TI noch längst nicht gegeben ist. Doch bislang reagierten die verantwortlichen Regierungsstellen stets mit Ignoranz und Negierung auf die Warnungen der Experten. Dabei sollte doch eines völlig klar sein: Entweder sorgt der Staat für ausreichende Sicherheitsstandards und übernimmt auch die Haftung für diese, oder die Rechte der Bürgerinnen und Bürger an ihren Daten müssen im Sozialgesetzbuch so eingeschränkt werden, dass sie zu den verfügbaren technischen Möglichkeiten „passen“ – eine Variante, die mir erhebliche Bauchschmerzen bereiten würde.

    Auch die Kompatibilität der TI mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) muss der Staat als unmittelbarer (Stichwort Digitale Versorgung Gesetz, DVG) aber auch als mittelbarer Gesetzesgeber (DSGVO) gewährleisten. Wir Ärztinnen und Ärzte haben dafür keine Aus- oder Weiterbildung durchlaufen, eine professionelle Beurteilung ist uns nicht möglich.

    Gesundheits-Apps für befindlichkeitsgestörte Gesunde

    Ich habe manchmal den Eindruck, dass Herr Spahn freudestrahlend glaubt, sich auf einer Computerspielmesse zu befinden und geradezu verliebt in seine sogenannten Gesundheits-Apps auf der Spielerkonsole Smartphone ist. Meine Behauptung: Derartige Apps sind – bis auf einige sehr sinnvolle Ausnahmen – nichts für wirklich Kranke, sondern eher etwas für befindlichkeitsgestörte Gesunde und deren Lifestyle. Diese sind naturgemäß in der Überzahl und damit auch wichtige Wählerinnen und Wähler. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!“

    Es kann doch nicht sein, dass aufgrund des beklagenswert steinzeitlichen deutschen Digitalstandards, der immer noch auf dem Niveau von Fred Feuerstein herumdümpelt, nun wir Ärztinnen und Ärzte die haftungsbeladenen Deppen der Nation sind. Nicht wir sind schließlich verantwortlich für die digitale Misere, sondern nur die fast alles aussitzenden Politiker und Politikerinnen. Dennoch sollen wir es als Beta-Tester und Erfüllungsgehilfen für die Regierung „richten“, eine derzeit noch nicht für Gesundheitsdaten produzierbare angemessene Datensicherheit herzustellen und aufrecht erhalten zu müssen – und das auch noch mit den höchst sensiblen Gesundheitsdaten!

    Auch für die Mehrkosten müssen die Praxen geradestehen

    Nach der Logik des BMG versteht es sich natürlich quasi von selbst, dass alle Risiken und Unwägbarkeiten sowie anstehende Doppelarbeiten (etwa Rezepte parallel in einer elektronischen und einer Papierversion) in der geplanten digitalen Welt, die zu zusätzlicher Arbeit und zu Mehrkosten führen, wir Praxisinhaber als die letztlich Verantwortlichen begleichen dürfen. Denn für unsere Mehrausgaben auf diesem Gebiet ist mal wieder kein Geld vorgesehen.

    Dazu passt auch die jüngste Forderung der möglicherweise noch unerfahrenen Stefanie Stoff-Ahnis aus dem Vorstand des GKV-Spitzenverbands nach einem „Modernisierungsschub in den Arztpraxen“ (siehe Pressemitteilung vom 7. Januar 2020, Kurzlink: tinyurl.com/uxzklsp), insbesondere in Bezug auf ihre digitalen Möglichkeiten, die doch sinngemäß selbstverständlich sein sollten angesichts der gewandelten Lebenswirklichkeit der modernen Menschen.

    Sie erwähnt dabei allerdings nicht, dass die GKV und auch ihr Spitzenverband die Kosten für digitale Modernisierung in ihren eigenen Reihen einfach von den Versichertengeldern in voller selbst gewählter Höhe abzweigen, während sie nicht bereit sind, Krankenhäusern und Arztpraxen die Kosten für die notwendigen zusätzlichen Investitionen – etwa für die Datensicherheit – vollständig zu ersetzen.

    Chaos Computer Club entdeckt regelmäßig Sicherheitslücken

    Es ist doch nicht auszudenken, was passiert, wenn individuelle Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten und dann von diversen Wirtschaftszweigen verwendet oder verkauft werden. Durch eine zentrale Speicherung werden jedoch dafür die besten Voraussetzungen geschaffen. Das wird ein Dorado für alle Hacker auf dieser Welt! Die haben ja wohl einen Knall in Berlin! Ich bin deshalb unter anderem dem Chaos Computer Club (CCC) sehr dankbar, dass er immer wieder auf die massiven Schwachstellen des Gesamtvorhabens hinweist. Zuletzt hatte der CCC Ende 2019 gezeigt, dass Unbefugte sich problemlos angeblich sichere Dokumente wie den elektronischen Arztausweis und die elektronische Chipkarte beschaffen konnten (siehe auch Seite 22).

    Selbst große Firmen, die ganze IT-Abteilungen unterhalten, erleben in Sachen Datensicherheit immer wieder ihre blauen Wunder. Wie sollen wir, die wir mehrheitlich in Einzelpraxen und damit vergleichsweise sehr kleinen Unternehmen arbeiten, dies in gleicher Weise meistern? Das ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.

    Offene Sprechstunde ist gerade in der Chirurgie absurd

    Ein weiteres Thema, das uns akut auf den Nägeln brennt, ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Hier geht Herr Spahn in einer übergriffigen Art und Weise vor, die mehr als eine Beleidigung für unseren freien Beruf ist. Er befiehlt uns unter anderem, fünf offene Sprechstunden pro Sitz und Woche zusätzlich anzubieten und gegenüber unserer KV auszuweisen. Ich habe mir in meinen kühnsten berufspolitischen Träumen nicht vorstellen können, dass jemand in Deutschland mit seinen über eine Milliarde Arztkontakten pro Jahr auf eine solche Idee kommt. Gerade in der Chirurgie ist das vollkommen absurd.

    Spahn erklärte hierzu zwar sinngemäß, unsereins wäre ja gar nicht betroffen, wenn wir sowieso mehr arbeiten als die neue Mindestsprechzeit es vorsieht. Doch dieser Kommentar entwickelt sich inzwischen immer mehr zum zynischen Hohn, zumindest für die Einzelpraxen. Schließlich gehen erfahrene Juristen wie etwa der BDC-Justiziar Dr. Jörg Heberer davon aus, dass Terminpatienten nicht in der offenen Sprechstunde behandelt werden dürfen. Dies würde eine künstliche Untätigkeit für die chirurgischen Kolleginnen und Kollegen bedeuten, die regelhaft an der Grenze ihrer Möglichkeiten arbeiten – wobei die vertane Zeit dann anschließend nachzuarbeiten wäre. Zu so einem Quatsch darf es auf keinen Fall kommen.

    Massive Eingriffe in Persönlichkeitsrechte von Praxisinhabern

    Außerdem wäre das eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Kolleginnen und Kollegen, die in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit mehreren Sitzen arbeiten, die grundsätzlich parallel eine Terminsprechstunde weiterlaufen lassen können. Es geht außerdem um eine Benachteiligung von operierenden Fächern wie der Chirurgie gegenüber „Gesprächspraxen“. In unserer Fachrichtung sind OP-Termine langfristig zu planen, um das OP-Programm kompakt und wirtschaftlich an mehreren Tagen pro Woche effizient zu gewährleisten, da findet sich neben dem „Restprogramm“ nun einmal kein Platz für freie Stunden. Vielmehr kollidieren die neuen Anforderungen dann auch noch mit der Verpflichtung gegenüber den Berufsgenossenschaften. Verunfallte Patientinnen und Patienten können ja während der offenen Sprechzeiten nicht abgewiesen werden, oder Herr Spahn? Solche Praxen (erst Recht in der Form von Einzelpraxen) hätten von der im TSVG verankerten Verpflichtung zu offenen Sprechstunden ausgenommen werden müssen.

    In der Sache sollte einmal gründlich über eine Verfassungsbeschwerde nachgedacht werden. Dabei bin ich dann wirklich gespannt, ob das inzwischen von deutschen Richtern häufig nahezu stereotyp verwendete Moment der Höherrangigkeit des Gemeinwohls der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei diesem massiven Eingriff in unsere Persönlichkeitsrechte als Praxisinhaber eingesetzt werden wird.

    Mit den besten kollegialen Grüßen

    Ihr Christoph Schüürmann, 1. Vorsitzender BNC

    Über den BNC

    Der BNC ist der Berufsverband der freiberuflichen Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland, deren Interessen er durch einen Bundesvorstand sowie 22 regionale Landesverbände (ANC) vertritt. Er engagiert sich für die Aus- und Weiterbildung seiner Mitglieder und setzt sich für eine Förderung der ambulanten chirurgischen Behandlung sowie des interdisziplinären Austauschs ein. Der Verband führt hierzu auf Bundesebene den Dialog mit Politik, Krankenkassen, Wirtschaft und anderen Berufsverbänden.

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    Caroline Backes presse@bncev.de

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