Urteil des SG München vom 16.08.2023 – S 28 KA 428/23 ER
Eine unzureichende Dokumentation kann grundsätzlich einen Zulassungsentzug rechtfertigen. Soweit der Zulassungsausschuss dabei einen Sofortvollzug angeordnet hat, stellt dieses sicher eine erhebliche Einschränkung in das Rechtsschutzbedürfnis des betroffenen Arztes dar. Andererseits dient die Dokumentation der Therapiesicherung.
Mit diesem Beschluss wurde der Eilantrag eines niedergelassenen Pneumologen abgewiesen, der in Einzelpraxis niedergelassen war. Bereits im Mai 2019 verhängte der Zulassungsausschuss wegen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten eine Geldbuße wegen dauerhafter unwirtschaftlicher Behandlungsweise, in diesem Verfahren hatte sich der Pneumologe nicht eingelassen. Parallel dazu wurde wegen des beruflichen Verstoßes gegen das Dokumentationsrecht eine Geldbuße im Rahmen eines berufsgerichtlichen Verfahrens verhängt. Hierbei hatte er ebenso auf die Anschreiben der Kammer nicht reagiert.
Sodann wurde noch im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung wegen überhöhter Abrechnungshäufigkeit ein Honoraraufhebungsbescheid erlassen und eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Pflichten zur peinlich genauen Abrechnung festgestellt. Konkrete Leistungsinhalte seien in keinem Fall der eingesehenen Dokumentation nachvollziehbar enthalten, obligate persönliche Arzt-Patienten-Kontakte nicht nachvollziehbar, weder allgemeine Dokumentationspflichten noch konkrete Behandlungsmaßnahmen erkennbar, so dass eine Abrechnung nicht möglich sei. Die Dokumentation diene auch der Sicherung der Funktionsfähigkeit der GKV.
In der Folge wurde im Rahmen eines Zulassungsentzugsverfahrens, in dem sich der Pneumologe ebenso nicht einließ, die Zulassung entzogen. Der Arzt habe durchgehend und in erheblichem Umfang gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise verstoßen, von den 30 angeforderten Patientenakten konnten einige nicht vorgelegt werden und die anderen waren so dünn, dass sich die Leistungen nicht nachvollziehen ließen, nicht einmal die persönlichen Arzt-Patienten-Kontakte. Die Entziehung der Zulassung diene der Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung sowie der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der gesetzlich versicherten Patienten. Mit dem Entzug der Zulassung könnten künftige Gefährdungen des Systems ausgeschlossen werden. Mildere Maßnahmen wie eine Ruhensanordnung seien im Hinblick auf den zu erreichenden Zweck, der Sicherstellung des auf Vertrauen basierenden Abrechnungssystems nicht erkennbar. Auch eine Teilung der Zulassung oder die Beiordnung einer ständigen Aufsichtsperson komme als milderes Mittel nicht in Betracht. Deshalb sei die sofortige vollständige Entziehung der Zulassung erforderlich. Bei der Angemessenheitsprüfung seien auch die Grundrechte des Arztes aus Artikel 12 Absatz 1 GG und 14 Absatz 1 GG zu berücksichtigen. Die Reichweite dieser Rechte würden unterschiedlich bewertet, jedoch müsse das Interesse des Arztes gegenüber den hier einschlägigen öffentlichen Güter und Interessen zurücktreten. Das Interesse an der Erfüllung vertragsärztlicher Verpflichtungen überwiege das Einzelinteresse deutlich, auf Pflichtverstöße müssten harte Konsequenzen folgen, da ansonsten das auf Vertrauen basierende Abrechnungssystem gefährdet sei. Deshalb werde auch der Sofortvollzug der Entziehung angeordnet.
Diese Entscheidung wurde durch die Kammer bestätigt, der Eilantrag wurde als unbegründet verworfen. Der Zulassungsausschuss sei grundsätzlich befugt, den Sofortvollzug anzuordnen (Bayerisches LSG vom 19.09.2012 – L 12 KA 59/11). Der Ausschuss habe zutreffend darauf abgestellt, dass die im Raum stehenden Dokumentationspflichtverletzungen eine Gefahr für Leib und Leben von Patienten begründen und deren Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit berührten. Diesen Rechten komme höchster Rang zu, diesen Rechten sei gegenüber den individuellen Rechten auf Berufsfreiheit Vorrang einzuräumen.
Im Rahmen einer summarischen Prüfung sei auch ein möglicher Erfolg in der Hauptsache abzuwägen. Die Hauptsache habe jedoch voraussichtlich keinen Erfolg. Das Gericht war der Auffassung, dass der Anwurf der Dokumentationspflichtverletzungen als weitgehend geklärt anzusehen sei. Der Dokumentation sei zu entnehmen, dass sie keine Befunde, keine von Patienten geäußerten Beschwerden und keine Behandlungsmaßnahmen enthalte. Auch veranlasste Leistungen seien unvollständig dokumentiert. Das Gericht könne deshalb einen Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung feststellen, auch wenn das Ausmaß der fehlerhaften Abrechnung noch nicht festgestellt wurde. Insgesamt wurde dem Widerspruch deshalb keine hohen Erfolgsaussichten beigemessen, so dass die Zulassungsentziehung verhältnismäßig sei. Es lägen Verstöße gegen elementare vertragsärztliche Pflichten vor, die jeweils für eine Zulassungsentziehung ausreichten. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit könne in solchen Fällen auch eine Zulassungsentziehung erfolgen, ohne dass zuvor Disziplinarmaßnahmen vorausgingen. Es handele sich um dauerhafte und regelmäßige Verstöße, die hier so gravierend wirkten, dass sie den Entzug der Zulassung im Sinne eines nahezu vorläufigen Berufsverbots rechtfertigten. Diese Entziehung sei aufgrund der bestehenden Patientengefährdung durch eine Fehlbehandlung erforderlich, diese Gefahr resultiert aus der Verletzung der Dokumentationspflicht zur Therapiesicherung und möglichen Verhinderung einer sachgerechten Weiterbehandlung. Insoweit sei die weitere Teilnahme des Arztes im System der GKV auch nicht mehr für eine Übergangszeit zumutbar. Es bestehe ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung de Zulassung.
Kontakt: Jörg Hohmann