Das Aktionsbündnis Praxenkollaps Nordrhein hat sich In einem offenen Brief an die Landrät*innen, Oberbürgermeister*innen und Bürgermeister*innen der Städte und Gemeinden in Nordrhein gewandt. Darin heißt es, eine funktionierende ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in Nordrhein als Fundament der medizinischen Daseinsfürsorge sei für das Gemeinwesen unverzichtbar und werde zunehmend „zu einem wichtigen Standortfaktor, dessen niedrigschwellige und unmittelbare Verfügbarkeit erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Städte und
Gemeinden hat“.
Allerdings seien in Nordrhein im vergangenen Jahr 347 Millionen Euro an korrekt erbrachten Versorgungsleistungen im ambulanten Bereich budgetbedingt nicht vergütet worden, obwohl es eine staatliche Gebührenordnung gibt, welche die Preise für diese Versorgungsleistungen festlegt. „Dies entspricht der Leistungsmenge von weit über 1.000 Praxen, die aktuell zwar noch am Netz sind, deren Leistungen aber nicht finanziert werden“, kritisiert das Aktionsbündnis. „Die Tatsache, dass die Durchsetzung einer staatlich festgelegten Gebührenordnung (EBM) konsequent verweigert wird, führt dazu, dass die Praxen in Nordrhein im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr bestehen können.“ Diese ‚Nichtbezahlung‘ reduziere zwangsweise auch das Versorgungsangebot in Nordrhein und verschärfe somit die Krise in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Die Sprecher des Bündnisses, der Allgemeinmediziner Dr. med. Jens Wasserberg und der Chirurg Dr. med. Manfred Weisweiler (Vorsitzender der ANC Nordrhein), weisen außerdem darauf hin, dass die Budgetierung in anderen Bundesländern historisch bedingt geringer wirkt, „es werden dort also höhere Honorare für exakt dieselbe Versorgungsleistung gezahlt, als dies in Nordrhein der Fall ist. Dadurch wird unsere Region zusätzlich systematisch benachteiligt.“ Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sei der Einstieg in eine zwingend erforderliche Entbudgetierung bereits seit zwei Jahren festgelegt. „Jeder Tag, um den dieser Schritt hinausgezögert wird, zerstört unwiederbringlich Versorgungskapazitäten in unserem Bundesland und benachteiligt uns gleichzeitig im Wettbewerb um dringend benötigtes Personal für unsere Praxen“, mahnen die Unterzeichner.
Ohne dieses Personal und aufgrund des beschriebenen Standortnachteils werde die ambulante medizinische Daseinsfürsorge in Nordrhein in kurzer Zeit unumkehrbar ausbluten“, warnt das Aktionsbündnis: „Die Auswirkungen dieser Entwicklung spüren Sie bereits tagtäglich vor Ort. Durch altersbedingtes Ausscheiden unserer Kolleginnen und Kollegen sowie fehlende Nachfolge droht die dauerhafte Schließung von einem großen Teil hausärztlicher und fachärztlicher Praxen.“
Um diese Fehlentwicklung aufzuhalten und die medizinische Daseinsfürsorge in den Städten und Gemeinden zu sichern, fordert das Aktionsbündnis die Kommunen auf, sich unmissverständlich für eine Entbudgetierung von Haus- und Fachärzt*innen sowie eine Anwendung der gültigen Gebührenordnung einzusetzen. Die Pläne von Bundesgesundheitsminister Prof. Lauterbach in Bezug auf Gesundheitskioske hingegen bezeichnet das Bündnis als nicht zielführend: Diese „verbrennen Mittel der Krankenkassen und der Kommunen, ohne dass sie eine echte Versorgungsverbesserung mit sich
brächten“. Auch Pläne, nach denen Apotheken wie ‚kleine Arztpraxen‘ agieren können, seien „reine Augenwischerei“. Und weiter: „Digitalisierung und Datenhunger werden helfende Hände nicht ersetzen.“ Die gleichzeitige Verödung der Praxen und Krankenhäuser angesichts einer riesigen Welle von Arbeit und Anforderungen an das Gesundheitswesen werde schwerwiegende – und den Gesellschaftsfrieden störende – Folgen haben, prophezeien die Unterzeichner.
Das Aktionsbündnis Praxenkollaps ist ein Zusammenschluss von über 30 ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsverbänden und Versorgergruppen aus Nordrhein, die zusammen mehr als 16.000 ärztliche und psychotherapeutische Kolleginnen und Kollegen vertreten. Ziel ist es, der Bevölkerung die Folgen der aktuellen Entwicklung im Bereich der ambulanten Versorgung aufzeigen. „Wir wollen den absehbaren Zusammenbruch der ambulanten medizinischen Versorgung verhindern und stehen Politikern und Vertretern von Krankenkassen sowie Vertretern der Medien als Ansprechpartner zur Verfügung“, betont das Bündnis.
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